Now, I ain't sayin' I no green digger
Von meiner Schatzsuche nach der Kultur im Nachhaltigkeitsdiskurs
von Timm Jelitschek

Marie hat eine Frage
Ich verbringe wöchentlich ein paar Stunden mit Kindern. Als Klettercoach habe ich die Freude, jeden Dienstag ein gutes Dutzend 10- bis 14-Jähriger zu trainieren. Ihre jugendliche, unverstellte Sicht auf die Dinge hat meine Aufmerksamkeit schon mehrfach auf Themen und Perspektiven gelenkt, die ich durch das Älterwerden immer mehr aus dem Blick verliere. So auch vor ein paar Wochen.
Ein Mädchen aus meinem Kurs – nennen wir sie Marie – erzählte mir davon, dass sie in der Schule etwas über Nachhaltigkeit gelernt habe. Wie aus der Kanone geschossen fielen die hinreichend bekannten Säulen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und das Soziale. Einigen Lesenden vielleicht aus der Agenda 21 bekannt, die 1992 auf dem ‚Weltgipfel Umwelt und Entwicklung‘ in Rio fixiert wurden. Meine Nachfrage, was diese drei Begriffe im Detail bedeuten würden, irritierte sie kurz. Dann konnte ich aber lernen, dass es um Landwirtschaft, Tierwohl, Steuern, Arbeitsplätze, Fairness, Wohnraum und einiges mehr gehen würde. Dann stockte Marie: „Sag mal, wo ist da denn Platz für das, was wir alles im Kunst- und Musikunterricht in der Schule machen? Da geht es doch gar nicht um Geld, Natur oder Gerechtigkeit.“
Spontan war ich angehalten ihr zu erklären, wie sehr es in der Kunst und der Musik um Geld gehen kann. Dann stockte wiederum ich. Stimmt, wo würde ich sie einsortieren, die Kunst, die Musik? Bei längerem Nachdenken kam mir die erst so banal klingende Frage viel tiefgründiger vor. Welchen Platz hat die Kultur im Säulenmodell der Nachhaltigkeit – oder in jedem anderen Modell, das im Kern mit den drei Begriffen Ökologie, Ökonomie und Soziales arbeitet? Wie können die menschlichen Kulturtechniken oder unsere Kulturgeschichte nach nachhaltigen Gesichtspunkten eingeordnet werden? Wo finden bildende Kunst, Architektur, Handwerk, Popkultur, Brauchtum oder Sprache in diesen Modellen statt? Oder ganz plakativ gefragt: Würden Menschen im Namen der Nachhaltigkeit sogar so weit gehen, die Pyramiden von Gizeh abzutragen, nur um an recyceltes und kostengünstiges Baumaterial für Sozialwohnungen zu gelangen? Ich konnte ihr keine schlüssige Antwort geben.
Für Marie und mich schienen immerhin die (anthropozentrischen) Aufgaben der gängigen drei Säulen klar zu sein. Die Ökologie hat die Aufgabe die natürlichen Grundlagen für den Menschen zu schützen und zu sichern. Das Soziale beschäftigt sich mit den Rechten und Pflichten der Menschen im Umgang miteinander. Die Ökonomie regelt als Mittler – unter anderem mit Hilfe von Arbeitsteilung und Geld als universelles Medium – das ganze ‚Dazwischen‘ und bildet das organisatorische Gerüst, dem wir das verdanken, was oft als technologischen Fortschritt, Zivilisation oder Wohlstand beschrieben wird. Idealerweise bilden diese drei Säulen ein Gleichgewicht für alle leben und zukünftigen Menschen dieser Erde – und nicht wie im Moment einen deutlichen Pol auf Seiten der Ökonomie für einen Bruchteil der Weltbevölkerung. Nur welche Aufgabe die Kultur hat und wo sie in diesem Modell ihren Platz findet, war uns beiden unklar. Ich fragte mich vor allem: Wie sind kulturelle Errungenschaften gegen ökologische, soziale und ökonomische aufzuwiegen? Welchen Wert hat die Kultur bei nachhaltigen Abwägungsprozessen?
Kultur, finde deinen Platz
Das Thema lies mich nach der Trainingsstunde nicht mehr los. Als selbständiger Nachhaltigkeitsberater hätte ich eigentlich eine Antwort auf diese Frage haben müssen, hatte ich aber nicht. Also fing ich an, mich damit genauer zu beschäftigen und machte mich auf Schatzsuche. Naheliegend war es die Kultur in der Säule des Sozialen zu suchen. Schnell wurde ich bei den ‚Zauberscheiben der Nachhaltigkeit‘ fündig. Das Modell wurde 1997 im Förderprojekt ‚Angewandte Ökologie‘ der Landesanstalt für Umweltschutz in Baden-Württemberg ausgearbeitet und von Prof. Hans Diefenbacher geleitet. Dort wird die Kultur unter anderem neben Sicherheit und Gesundheit in das Soziale eingeschlossen. Mit dieser Zuordnung hatte ich jedoch ein Problem: Wieso wird der große, allgemeine Begriff der Kultur, der für uns Menschen im Grunde die Kehrseite der Natur darstellt, dem Sozialen untergeordnet, während die Ökonomie ihre eigene Säule – oder in diesem Fall Zauberscheibe – bekommt? Das erschien mir nicht schlüssig.
Dann wurde ich durch meine Recherche an das ‚gewichtete Säulenmodell der Nachhaltigkeit‘ von Prof. em. Volker Stahlmann erinnert. In seinem Modell aus dem Jahr 2008 wird aus der Säule der Ökologie ein ‚Fundament der natürlichen Ressourcen‘ und die Kultur zieht als neue Säule in sein Gebäude der Nachhaltigkeit ein. Das Dach bildete fortan die nachhaltige Entwicklung. Diese Gewichtung der Begriffe wirkte auf mich schon stimmiger.
Mit den Suchbegriffen ‚Kultur‘ und ‚nachhaltige Entwicklung‘ fiel mir als nächstes ‚The Power of Culture‘ – der 1998 veröffentlichte ‚Aktionsplan über Kulturpolitik für Entwicklung‘ der UNESCO-Weltkonferenz in Stockholm – in die Hände. Dort las ich: „Nachhaltige Entwicklung und kulturelle Entfaltung sind wechselseitig voneinander abhängig.“ Ein starkes Stück, wenn man sich diesen Satz auf der Zunge zergehen lässt. Denn hier werden Nachhaltigkeit und Kultur auf Augenhöhe betrachtet. Aber leider in einem etwas eingeschränktem Maße, denn die Hauptforderung lautet lediglich, dass die kulturelle Dimension nicht hinter den nachhaltigen Entwicklungen zurückstehen darf. Die konkrete Rolle aber, die der Kulturbegriff in der Nachhaltigkeitsdebatte spielen könnte oder sollte, war mir weiterhin nicht klar. Immerhin fand ich ihn schonmal im wissenschaftlichen und politischen Diskurs.
Von der Ästhetik, dem Schönen und der Nachhaltigkeit
Aufbauend auf dieser Erkenntnis ging ich weiter auf die Suche und landete recht schnell bei den Toblacher Gesprächen und ihren Thesen aus dem Jahr 1998. Mir war dieses Forum für Fragen zum nachhaltigen Wirtschaften und zum Umweltschutz in Südtirol bereits ein oder zwei Mal untergekommen, aber nie bezogen auf meine jetzige Fragestellung. Das besagte Jahr stand unter dem Thema ‚Schönheit‘. Eine der Thesen: „Ohne Schönheit kein erfülltes Leben.“ Schlüssig. Die Nachhaltigkeit, die das aristotelische gute Leben (für alle) ermöglichen und bewahren soll, hat also auch das Schöne zu schützen, dachte ich mir. Eine weitere These lautete sinngemäß, dass die im Leben vieler Menschen erfahrene Unschönheit ein Grund für die Umweltbewegung gewesen sei. Provokant, aber durchaus eingängig. Dann wurde es richtig interessant. Erst fiel der Begriff der Ästhetik, der mir bei meinen weiteren Recherchen als Stichwort noch hilfreich sein sollte und dann ging es da noch um das Handwerk.
Letzteres wurde als ästhetische und nachhaltige Alternative zur Massenproduktion bezeichnet. Ich zitiere: „Kreativität und sinnvolle Arbeit in einer neuen Einheit von Planung und Ausführung auf hohem ästhetischem Niveau ist die Chance. […] Geringer Umweltverbrauch, Nützlichkeit und Funktionalität, Unaufdringlichkeit und soziale Verantwortlichkeit, Emotionalität und Sinnlichkeit werden die Ästhetik der Produkte der Zukunft kennzeichnen.“ Ein wichtiger weiterer Schritt, um sich einer Antwort auf die Frage nach dem Platz der Kultur in der Nachhaltigkeit zu nähern, denn hier ging es nicht nur um den identitären oder territorialen Kulturbegriff (Volks-, Nations- oder Regionszugehörigkeit) oder ausschließlich um die Schönen Künste, sondern auch um (historische) Kulturtechniken, die es zu bewahren gilt und die wiederum das Potential haben, durch ihre Geartetheit Drittes im Sinne der Nachhaltigkeit zu schützen.
Ähnliches ist auch in der ‚Strategie für eine nachhaltige Entwicklung‘ der Bundesregierung von 2001 zu lesen: „Nachhaltige Entwicklung hat sehr viel mit der Vision davon zu tun, wie wir in Zukunft leben wollen, mit Phantasie und Kreativität. In diesem Sinne ist sie eine Gestaltungsaufgabe, die auf der Grundlage von Werten, gesellschaftlichen Leitbildern und insgesamt unserer kulturellen Tradition die kreativen Potenziale unserer Gesellschaft herausfordert.“ Gleichzeitig wird jedoch von einem recht engen Kulturbegriff ausgegangen. Deutlich wird dies, da der Rat für nachhaltige Entwicklung beklagt, dass insbesondere die Kunst und die Kulturpolitik die Herausforderungen und Chancen der Nachhaltigkeit bislang nicht als eigene Themen aufgegriffen hätten.
Weiter fündig wurde ich beim Tutzinger Manifest von 2001, zu dem es von den Toblacher Thesen nicht weit war. Zu lesen ist dort: „Nachhaltigkeit braucht und produziert Kultur: als formschaffenden Kommunikations- und Handlungsmodus, durch den Wertorientierungen entwickelt, reflektiert, verändert und ökonomische, ökologische und soziale Interessen austariert werden. […] Das Konzept Nachhaltige Entwicklung kann und muss in der Weise vertieft und weiterentwickelt werden, dass es gleichberechtigt mit Ökonomie, Ökologie und Sozialem auch Kultur als quer liegende Dimension umfasst.“ Ganz im Geiste des gewichteten Säulenmodells nach Stahlmann.
Weiter steht dort: „Wenn Nachhaltigkeit attraktiv sein und faszinieren soll, wenn sie die Sinne ansprechen und Sinn vermitteln soll, dann wird die Kategorie Schönheit zum elementaren Baustoff einer Zukunft mit Zukunft […].“ Wieder der Begriff der Schönheit. Nur dieses Mal als Vehikel für eine nachhaltige Entwicklung und nicht als Bestandteil des durch nachhaltige Entwicklung zu schützenden. Abermals eine neue Perspektive. Unsere Kultur – unter anderem repräsentiert durch unsere innermenschliche Sehnsucht nach Ästhetik – bildet demnach zum einen das, was Nachhaltigkeit zu erhalten und zu gestalten hat; trägt aber selbst auch zu dem Ziel bei, anderes in genau diesem Sinne zu erhalten und zu gestalten. Sozusagen eine wechselseitige Beziehung mit den anderen Säulen der Nachhaltigkeit.
Von der Breite des Kulturbegriffes
Viele Quellen später stieß ich schlussendlich auf den Buchband ‚Kultur – Kunst – Nachhaltigkeit‘, herausgegeben von Hildegard Kurt und Bernd Wagner im Jahr 2002. In der Einführung kritisieren die Herausgebenden den engen kulturellen Schrumpfbegriff der schönen Künste und humanistischen Bildung. Gleichzeitig grenzen Sie ihr Verständnis vom übergreifenden ‚anthropologischen Kulturbegriff‘ ab: „Kultur bezeichnet das gesamte Spektrum derjenigen kreativen Tätigkeiten, mit denen die Individuen und die Gesellschaft ihr Sosein − ob rituell oder kritisch, ob bildnerisch oder performativ, ob diskursiv oder spielerisch − reflektieren und immer wieder neu gestalten, um sich ihrer selbst zu vergewissern, um entwicklungsfähig zu bleiben oder zu werden.“ Sie bedauern insgesamt das kulturelle Defizit in der Nachhaltigkeitsdebatte sowie die an Herbert Marcuses ‚affirmative Kultur‘ angelehnte Kulturpolitik, die Kunst und Leben trennt und stellen sich die Frage, wo die Potenziale und Chancen einer verstärkten Einbindung der Kultur in die Suche nach zukunftsfähigen Lebens- und Wirtschaftsweisen liegen.
In diesen Tenor stimmt auch Michael Haerdter im selbigen Band ein. Er weist zunächst darauf hin, dass es jeher „um die Veränderung des als unvollkommen oder falsch erkannten Lebens in ein dauerhaft richtiges, also um die Heilung der kranken Gesellschaft“ geht. Ihm ist an einer Versöhnung von Leben und Kunst, Politik und Ästhetik, Alltag und Schönheit gelegen. Für Haerdter stammen die ökologischen Fragestellungen „nicht aus dem Seelenhaushalt der Nation, für den allein nationale Kulturpolitik […] mit der Schwerkraft unreflektierter Routine sich zuständig weiß.“ Auch, wenn nach seiner Auffassung die aktuelle ‚Museumskunst‘ den westlichen Kulturbereich und -begriff weiterhin dominiert und bis heute kaum an Wirkung eingebüßt hat, weist er darauf hin, dass die Kunstschaffenden der ‚anderen Moderne‘ stark an ihr rütteln: „Ihre Negationskraft, mit der sie der affirmativen Kultur polemisch oder satirisch auf den Leib rückten, ihre Schein-Heiligkeit bloßstellten oder sie in Gegenentwürfen ad absurdum führten, ist ebenso unterschiedlich, wie es ihre Programme und Strategien sind. Allen aber ist gemeinsam, dass es ihnen nicht um Schönheit zu tun war, sondern um Wahrheit.“ Er spricht von Surrealismus, von situativer Kunst, von den Expressionisten, der Neuen Sachlichkeit, von DADA und Fluxus, von Performance-Kunst, von experimentellem und alternativem Theater, von der Fotografie und Medienkunst, vom Neuen Bauen, vom Neuen Tanz und vielem mehr.
So führt er auf, dass die großen physikalischen Entdeckungen Plancks, Einsteins und Heisenbergs im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts erst mit der Zündung der ersten Atombombe wirklich von der breiten Gesellschaft begriffen wurden. Die Kunst setzte sich jedoch schon vorher und früher damit auseinander. Wassily Kandinsky wird von ihm mit dem Satz zitiert: „Das Zerfallen des Atoms war in meiner Seele dem Zerfall der ganzen Welt gleich.“ Haerdter führt aus, dass sich Kandinsky als Künstler bereits vor dem zweiten Weltkrieg mit diesen Themen beschäftigte und seine malerische Abstraktion unter anderem daraus ableitete. Ein Indiz dafür, wie gut Kunst als frühes Barometer wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen dienen kann. Das Problem scheint jedoch zu sein, dass „Kunst, die sich als ein wachsames und mit ihren eigenen Mitteln überaus wirksames Element im Prozess lebensweltlicher Erfahrung begreift und präsentiert, […] in aller Regel von der Kritik abgelehnt oder ignoriert [wird] − ganz im Widerspruch zur Pluralität gestalterischer Verfahren und Modi in der zeitgenössischen Kunst.“ Ein Antagonismus, der sicher schwierig aufzulösen ist.
Um meine Recherchen zu beenden habe ich meine Nachschlagewerke aus dem Schrank geholt – und bin im leninistisch-marxistisch geprägten Philosophischen Wörterbuch (1969) von Georg Klaus und Manfred Buhr unter dem Stichwort ‚Kunsttheorie‘ über eine interessante These gestolpert: „Im Kapitalismus hat die industrielle Produktion sich aller Formen künstlerischer Aktivität bemächtigt […] um sie in Gestalt der sog. Vergnügungsindustrie zu einer Quelle riesenhafter Profite zu machen. […] Die kapitalistischen Zielsetzungen (Maximalprofit) stehen in so diametralem Gegensatz zu dem Wesen echter Kunst, daß im kapitalistischen Kunstbetrieb das Surrogat, der Kunstersatz […] an die Stelle echter Kunst getreten ist und das Feld beherrscht […].“ Zugegeben, die Perspektive und Wortwahl ist etwas aus der Zeit gefallen. Seriös kann man radikale leninistisch-marxistische Ansichten heute wohl kaum noch vertreten. Dennoch schloss diese Passage für mich einen Kreis auf meiner Schatzsuche. Begonnen hatte meine Reise schließlich mit dem Impuls Marie vor Augen zu führen, wie sehr die Ökonomie Kunst und Musik instrumentalisieren kann.
Die Schatzsuche kommt zu einem Ende
Fürs erste sollte mir das Material genügen, um einen Überblick zu bekommen. Ich sammelte mich und machte mich ans Werk die Quellen auszuwerten und diese Zeilen zu Papier zu bringen. Was hat mich diese Schatzsuche nun gelehrt, was ich Marie beim nächsten Kletterkurs mittteilen kann?
Ob die Kultur einen Platz unter den Säulen, innerhalb der Zauberscheiben oder im Gebäude der Nachhaltigkeit bekommt und wenn, welchen, hängt zunächst von der Breite des Kulturbegriffes ab. Der anthropologische Kulturbegriff als Gegenpol zur Natur wirkt mir für ein Modell der Nachhaltigkeit zu grobporig. Der affirmative Begriff der Museumskunst oder der schönen Künste, der gern kulturpolitisch verwendet wird, greift offensichtlich zu kurz, um auf Augenhöhe mit der Ökologie, Ökonomie und dem Sozialen zu stehen. Ein breiterer Sammelbegriff für ‚Kunst und Kultur‘, als Kommunikations- und Reflexionsvehikel für nachhaltige Entwicklung, wie ihn Kurt und Wagner vorschlagen erscheint dagegen sinnvoll und notwendig zu sein – beantwortet aber noch nicht die Frage nach dem nachhaltigen ‚Wert der Kultur‘.
Die Diskutanten der Toblacher Gespräche machen deutlich, dass die Nachhaltigkeit nicht nur die Menschenrechte (Soziales) und die Umwelt (Ökologie) zu schützen hat, sondern auch das Schöne und traditionelle Kulturtechniken wie etwa das Handwerk. Gleichzeitig kann und muss es vielleicht besonders die Aufgabe der Kultur sein, auf die Notwendigkeit zur Nachhaltigkeit hinzuweisen (Haerdter), sie zu vermitteln, mit ihr umzugehen und auf nachhaltige Fragen eine Antwort zu finden (Toblacher Gespräche). Dem Tutzinger Manifest folgend braucht und produziert Nachhaltigkeit auch Kultur – dies macht die Wechselseitigkeit zwischen den Säulen noch einmal deutlich. Die Kultur darf sich gleichzeitig nicht von den anderen Säulen (z.B. der Ökonomie) vereinnahmen lassen, sondern hat ihren eigenen, inhärenten Wert (Klaus/Buhr). Schlussendlich vermittelt Stahlmanns Gebäude der Nachhaltigkeit, mit dem Fundament natürlicher Ressourcen und der Kultur auf Augenhöhe mit dem Sozialen und der Ökonomie, den Eindruck ein adäquates Modell zu sein, die Kultur im Kontext der Nachhaltigkeit zu verorten.
Die Kultur ist also beides, schützende und zu schützende. Sie übernimmt wie die anderen Säulen Aufgaben, um das Gebäude der Nachhaltigkeit zu tragen und ist gleichzeitig Teil von ihm. Kultur ist nicht nur Kunst, sondern viel mehr – gleichzeitig aber auch nicht alles, was nicht Natur ist. Kultur beschreibt die Artefakte der Menschheit, an denen wir uns orientieren, die übrigbleiben, wenn wir als Individuen lange nicht mehr auf Erden weilen. Sie ist das, was entsteht, wenn soziale Menschen dank eines ökologischen Fundaments und ökonomischem Wohlstand denken und handeln. Diese Perspektive und diesen Wert im Nachhaltigkeitsdiskurs zu übersehen, wäre nicht nur traurig, sondern schlichtweg fehlgeleitet. Ich bin Marie dankbar, dass sie mich auf diese Schatzsuche geschickt hat. Und wie es so oft in der wirklichen Welt, lassen sich auf komplexe Fragen keine einfachen und endgültigen Antworten finden. Ich für meinen Teil bin jedoch schlauer geworden und fühle mich besser darauf vorbereitet, die Kultur künftig in die Nachhaltigkeitsdebatte einzuflechten. Bleibt nur zu hoffen, dass sich auch Marie mit diesen Antworten wohlfühlt.